18. Dezember 2016
70 Jahre Bayerische Verfassung
Verfassung ernst nehmen –
dem populistischen Ruf nach Leitkultur entgegentreten !
Am 1. Dezember 1946 wurde mit einer Volksabstimmung die Bayerische Verfassung angenommen. Unter den (wenigen) Frauen und Männern im vorbereitenden Verfassungsausschuss und in der verfassungs-gebenden Landesversammlung waren viele, die selbst in der NS-Zeit Verfolgung erlitten hatten oder ins Exil getrieben wurden. Sie waren sich – unabhängig davon, ob sie der CSU, der SPD, der KPD angehörten oder parteilos waren – einig, dass diese Verfassung vor allem dem Ziel zu dienen hatte, einen neuerlichen Weg in eine Nazidiktatur zu versperren und einen dauerhaften demokratischen und sozialen Rechtsstaat zu sichern. Aus dem Widerstand und dem Exil brachten sie ihre Überlegungen in die Beratungen ein. So ist in der Bayerischen Verfassung von 1946 – wie auch in anderen Länderverfassungen – der Bezug auf den deutschen Faschismus stellenweise noch direkter zu spüren als im Grundgesetz von 1949. Dies zeigt sich besonders in folgenden Festlegungen:
Gegen Nationalsozialismus und Militarismus
Weil die Verfassung geschaffen wurde in der Absicht, eine Nazidiktatur nie mehr zu ermöglichen, wurde im letzten Artikel 184 festgelegt, dass „Die Gültigkeit von Gesetzen, die gegen Nationalsozialismus und Militarismus gerichtet sind oder ihre Folgen beseitigen wollen, […] durch diese Verfassung nicht berührt oder beschränkt“ werden. Damit wird das Grundanliegen der Verfassungsgeber 1946 deutlich.
Umfassendes Asylrecht
Weil während der Nazidiktatur Hunderttausende ihre Rettung dem Asyl in anderen Ländern verdankten, wurde in Artikel 105 festgelegt, dass „Ausländer, die unter Nichtbeachtung der in dieser Verfassung niedergelegten Grundrechte im Ausland verfolgt werden und nach Bayern geflüchtet sind, nicht ausgeliefert und ausgewiesen werden“ dürfen.
Gegen Rassen- und Volkerhass
Weil die Naziideologie auf rassistischer Grundlage beruhte, zur Ausgrenzung vieler Menschen aus der „Volksgemeinschaft“ und letztlich zu Krieg und Vernichtung führte, wurde in Artikel 119 schlicht formuliert: „Rassen- und Völkerhass zu entfachen ist verboten und strafbar.“
Verpflichtung wirtschaftlicher Tätigkeit auf Gemeinwohl
Weil soziale Unsicherheit Menschen vor 1933 anfällig machte für die Nazipropaganda und weil Großkonzerne ihre wirtschaftliche Macht zu politischen Zwecken missbrauchten, sollte die „gesamte wirtschaftliche Tätigkeit […] dem Gemeinwohl“ dienen, wurde die Zusammenballung wirtschaftlicher Macht verboten und das Recht auf Arbeit verankert (Art. 151-177).
Diese Festlegungen zeigen besonders deutlich, dass die Bayerische Verfassung von 1946 – wie auch das Grundgesetz von 1949 – entstanden ist als Gegenentwurf zur Praxis und Ideologie des Nationalsozialismus. Aber sie sind bis heute noch wenig bekannt, wurden vergessen – oder auch absichtsvoll verschwiegen. Denn zu deutlich würde dann der Widerspruch zu heutiger Realität, in der
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das Asylrecht oft missachtet,
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Rassismus im Alltag gang und gäbe
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und das politische Gewicht von Konzernen überdeutlich ist.
Der 70. Jahrestag der Bayerischen Verfassung sollte Anlass sein, sich mit deren menschenrechtlichen, sozialstaatlichen und antifaschistischen Normen wieder genauer zu beschäftigen. Sie sind Richtschnur für politisches und gesellschaftliches Handeln im Freistaat; das sind die wirklichen Leitlinien.
Sie stehen damit im Gegensatz zu populistischen Forderungen nach einer „Leitkultur“, deren heimattümelnde Unbestimmtheit bloßer Stimmungsmache dient und letztlich zur Ausgrenzung anderer Menschen und Kulturen dient. Auf eine demokratische bayerische Tradition oder auf die Bayerische Verfassung kann sich solche „Leitkultur“ nicht berufen.
(Entschließung der Landesdelegiertenkonferenz der Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes – Bund der Antifaschistinnen und Antifaschisten Bayern, Nürnberg/16.10.2016)
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